Steh-auf-Man

Steheauf
Auf Augenhöhe

Nach zweieinhalb Jahren war es endlich soweit: ich konnte meiner Umwelt einmal wieder auf Augenhöhe entgegentreten.
Wie das?
Zusammen mit meinem Neurologen, meinem Ergotherapeuten und meinem Sanitätshaus haben wir bei meiner Krankenkasse einen Rollstuhl mit Stehfunktion beantragt – und genehmigt bekommen. Die Bearbeitung ging relativ zügig voran und beschränkte sich auf verständliche Maßnahmen (Rückfragen, Test eines Alternativprodukts). Der Stuhl wurde ausgeliefert und natürlich haben wir ihn sofort ausprobiert.
Ich kann euch kaum beschreiben, was für ein Gefühl es ist, endlich wieder auf seinen eigenen zwei Beinen zu stehen und seine Umwelt aus einer lange vermissten Perspektive wieder wahrnehmen zu können. Die letzten zweieinhalb Jahre war meine Augenhöhe entweder ca. 1,5 m im Rollstuhl sitzend oder im Bett liegend. Jeder, mit dem ich mich in dieser Zeit unterhalten habe, schaute deshalb auf mich herab oder musste sich zu mir herunter beugen, es sei denn, er setzte sich dazu auf einen Stuhl. Diesen psychologischen Effekt des „auf-einen-herabschauen“ sollte man auf Dauer nicht unterschätzen. Es ist ein schleichender Prozess, der verbunden ist mit dem Gefühl immer auf Hilfe anderer angewiesen zu sein. Wenn man nicht aufpasst, kommt man hier sehr schnell in eine passive Rolle.
Außerdem war ich vor meinem Unfall mit einer Körpergröße von 1,86 m auch nicht gerade klein (natürlich bin ich nach dem Unfall immer noch so groß!) und war somit eher in der Rolle desjenigen, der auf jemanden herab sah. Durch das Liegen im Bett, das Sitzen im Rollstuhl und auch die Querschnittslähmung verliert man nach einiger Zeit unweigerlich das Gefühl für die eigene Körpergröße und die Relationen.
Alleine in der altgewohnten Umgebung wieder einmal zu stehen, die gleiche Perspektive „wie früher“ zu haben (in den Räumen und Personen gegenüber) ist fantastisch. Ein kleines Beispiel hierzu: als ich in meinem ehemaligen Musikraum meiner Frau gegenüberstand, fragte ich, wie weit ich mit den Füßen vom Boden weg sei. Von meinem Gefühl her mussten es ca. 15-20 cm gewesen sein. Umso erstaunter war ich, als mir die Umstehenden sagten, dass ich fast auf dem Boden stehe, höchstens 3-5 cm darüber. Ich hatte vollkommen vergessen, wie groß ich war.
Aber auch für den eigenen Körper ist es eine neue Aufgabe. Die Atmung muss anders arbeiten, der Kreislauf muss das Blut endlich einmal wieder von oben nach unten pumpen und auch die inneren Organe freuen sich, dass sie einmal wieder in die Position kommen, in die sie gehören. Erstaunlicherweise hat sich mein Körper dagegen nicht sonderlich gewehrt, soll heißen der Kreislauf blieb stabil und auch die Atmung hat gut funktioniert. Am Anfang zunächst für 20 Minuten, mittlerweile sind wir bei fast 45 Minuten angekommen.
Ich freue mich schon darauf, wenn ich mit diesem Rollstuhl bei einer Veranstaltung einen Platz für Rollifahrer einnehme und dann in die stehende Position gebracht werde. Zum einen bin ich auf die Gesichter der umsitzenden Normalos gespannt (die suchen wahrscheinlich alle nach der versteckten Kamera) und zum anderen auf deren Reaktion, wenn so ein Behinderter ihnen plötzlich die Sicht nimmt. Das ist dann sicher wieder einen Beitrag hier im Blog wert…

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